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Eröffnung
from the field

Dr. Tobias Wall
Eröffnungsrede Stipendienausstellung
Atelierstipendium Plochingen

Ich falle gleich mal mit der Tür ins Haus:

Dieser Ausstellungsraum ist einfach großartig. Es gibt in der Kunstszene ja die Diskussion welche Orte für eine Kunstpräsentation besser sind: Der aufgeräumte, cleane White Cube oder das rauhe, industrielle Loft. Ich darf Ihnen sagen, dass ich berufsbedingt viele Ausstellungen besuche und meine Präferenz ist eindeutig: Ich liebe Ausstellungsorte mit eigenem Charakter, mit einer Geschichte, die auch sichtbar ist. Orte wie dieser Ausstellungsraum:

Wir stehen in einem Raum, der Geschichten erzählt – aus einer anderen Welt aus einer anderen Zeit. Eine Werkhalle mit Kabeln, Verteilerkästen, rohem Gebälk, mit großen lichten Fenstern. Einen unglaublichen Holzboden, ein Arbeitsuntergrund, bei dem man sieht, dass über ihn Jahrzehnte schwere Dinge, Steine geschleift wurden, auf dem Arbeiter unzählige Schritte in schwerem Schuhwerk gemacht haben. An den Wänden: Spuren dieser Menschen. Zeichnungen, Zahlen Worte, Sogar Arabisch, Anekdoten Späße aus früheren Zeiten (manche vielleicht auch später von Jugendlichen hinzugefügt). – Und dieser Geruch nach altem Mauerwerk und Maschinenöl. Und in diesem Raum voller Spuren vergangener Arbeit haben sich die diesjährigen Atelier-Stipendiatinnen und Stipendiaten mit ihrer Kunst eingenistet. Fremde, möchte man meinen, Besucher aus der Gegenwart an historischen Orte. Und doch nimmt der Raum die Kunst perfekt auf, ermöglicht ein stimmiges Ensemble von vier künstlerischen Positionen, die ganz offensichtlich sehr unterschiedlich sind: Malerei und Zeichnung von C. Sebastian Pollack, eine Objektinstallation von Hannah Zenger, Bronzeobjekte von Jochen Damian Fischer und ein Ensemble aus Bildern und Raumobjekten von Michael Schramm.

Kurz noch zu dem was nun kommt: Ich habe mich entschieden für meine Ausstellungseinführung keinen Kontakt mit den Künstlerinnen aufzunehmen. Ich habe mich gestern 1 Stunde in diesen wunderbaren Raum hineingestellt und mir angehört, was die Arbeiten von mir wollen. Nur mit Hannah Zenger und Michael Schramm habe ich ganz kurz telefoniert. 3 Minuten. Das was ich Ihnen hier vortrage, ist keine kunstwissenschaftliche Einführung sondern ein sehr persönlicher Text, der im Tête-à-Tête mit den den Werken entstanden ist.

(…) Daneben die Arbeit von Hannah Zenger: was für ein Unterschied! Eine reduzierte, konzentrierte Installation von fast sakraler Strenge. Die aufgeschlagenen Fensterläden an der Rückwand wirken als Hintergrund des Ensembles fast wie ein Altar. Im Vordergrund hängen, streng gereiht fünf hohe Glasrahmen, in denen sich unterschiedlich farbige Erden befinden, wie die Querschnitte durch Berge und Landschaften. Dahinter zwei rätselhafte Betonobjekte, aufgerissene Würfel mit einer tief zerfurchten, zerklüfteten Oberfläche. Stücke, die wie aus der Welt heraus gestanzt, herausgeschnitten sind.
Was wir hier sehen, sind in der Tat buchstäblich Ausschnitte unserer Welt. Die Betonobjekte sind Abgüsse eines Ackerstücks auf den Fildern. Die Erden in den Rahmen hat die Künstlerin an einem Ort in der Toskana gesammelt. Proben verschiedener Erdschichten.
Hannah Zenger sammelt, archiviert und erforscht die Welt auf ihre Weise. Von ihren Reisen, von überall her bringt Hannah Zenger Material mit und überführt es in ungewohnte Präsentationskontexte. Allerdings beschäftigt sie sich nicht, wie viele andere Sammler mit dem Spektakulären, dem Außergewöhnlichen. – Nein, sie beschäftigt sich mit etwas, das so gewöhnlich, für uns so selbstverständlich ist, dass wir es nicht sehen: mit der Erde, dem Boden, den Topographien unseres Planeten. Das, worauf wir unsere Existenz gründen, seit Jahrhunderten, Jahrtausenden von unserem Tun geprägt und verändert. Geduldig und gelassen. Machtvoll und unsichtbar.
Wir sehen Werke einer Künstlerin, die unsere Erde sehr ernst nimmt, die ihr mit maximaler Aufmerksamkeit begegnet; allerdings ganz ohne ökologischen oder ästhetischen Pathos. Die Künstlerin setzt diesem Urgrund unserer irdischen Existenz ein schlichtes aber starkes Denkmal, zeigt uns seine materielle Kraft, seine Schönheit – und auch seine Verletzlichkeit.